
Niemand mag gerne zurückgewiesen werden oder Ablehnung erfahren, das ist eine menschliche Eigenschaft. Wir alle wollen gemocht, respektiert und akzeptiert werden.
Doch es gibt einen markanten Unterschied in der Wahrnehmung und dem Umgang mit Zurückweisung, denn einige Individuen können besser und andere schlechter mit Ablehnung umgehen. Warum mir dieses Thema so am Herzen liegt und weshalb ich es als erste Blogpost Topic gewählt habe, ergibt sich für mich aus der Hebelwirkung, welche diese Sensitivität auf mein Persönlichkeitskonstrukt ausübt.
Wie der Name impliziert, bezieht sich die Rejection Sensitivity (oder zu Dt. Zurückweisungsempfindlichkeit) auf eine ängstliche Erwartung von Ablehnung, eine leichte Akzeptanz von dieser und eine intensive Reaktion auf eine empfundene oder reale Ablehnung [2] . Die dabei ausgelösten Emotionen sind für Betroffene wesentlich schmerzhafter als für Menschen, die nicht von dieser Empfindlichkeit betroffen sind.
Als Ursprünge für diese Schwierigkeit mit Zurückweisung umzugehen, herrscht Uneinigkeit. So werden angeborene neurologische Tendenzen, eine stabile, aber nicht dauerhafte Persönlichkeitsdisposition, erlernte Reaktionen auf wiederholte Ablehnung oder eine Kombination aus allen drei Faktoren diskutiert [2] .
Doch schnell ein Exkurs zu RSD, der Rejection Sensitive Dysphoria ..

Im nachfolgenden Text werde ich primär den Begriff Rejection Sensitivity benutzten, beziehe mich allerdings – vor allem auf Basis anekdotischer Beobachtungen - auch auf Rejection Sensitive Dysphoria Quellen.
Wie in der Einleitung angeschnitten, herrscht über den Ursprung der Rejection Sensitivity Uneinigkeit. Eine Kombination aus unterschiedlichen Faktoren wird in Betracht gezogen. So ist, bedingt durch die Lebenserfahrung bei den meisten betroffenen Individuen eine tiefgreifende Ablehnungserfahrung verankert, welche sich auf das Erlebte auswirkt.
In diesem Zusammenhang kann ebenfalls eine frühkindliche traumatische Stresserfahrung zum Ursprung einer Zurückweisungsempfindlichkeit beitragen, indem das Individuum einen übervorsichtigen Abwehrmechanismus vor überraschenden Verletzungen erlernt hat und dieser aufgrund von „mangelhafter (emotionaler) Selbstregulation nicht mehr angemessen gesteuert werden kann.“ [1] [5]
Interessanterweise lässt sich beobachten, dass durch den Wunsch eines Zugehörigkeitsmotivs bei ADHS/ADS betroffenen Individuen diese ihre Prokrastination beheben können, in dem sie Tätigkeiten, die sie nicht für sich erledigen, für andere erledigen. [1] in diesem Fall wirkt die Zurückweisungsempfindlichkeit umkehrend proaktiv und trägt zu einer Verbesserung der Arbeitsmoral bei.
Es sei auch erwähnt, dass eine ausgeprägte Rejection Sensitivity zu der Entwicklung einer sozialen Phobie beitragen kann.

Für mich ist es immer wieder spannend, retroperspektivisch über meine Probleme bei Recherchen zu lesen und dabei festzustellen, dass ich in dieser Hinsicht nicht alleine bin und andere Menschen ähnliche Probleme wie ich haben. Obwohl man natürlich vor allem in jüngeren Jahren, sich nicht ganz im Klaren darüber ist, was eigentlich mit einem nicht stimmt, hat man doch die Intuition, dass etwas mit einem nicht stimmt.
Durch meinen Hyperfokus – oder gar Hyperfixierung – auf mein psychologisches Profil seit meiner Manie habe ich einige Fallstricke wahrgenommen und Erkenntnisse aus reflexiven Beobachtungen ziehen können, die ich vorher in dieser Form nicht gesehen habe. Über diese Art entwickel ich nun langsam (endlich) das Gefühl, mein Leben und meine Erfahrungen Stück für Stück in ein Regal einordnen und die Zusammenhängen zwischen Beschwerden sowie daraus resultierenden Ergebnissen (bzw. Kompensationsstrategien) beschriften und in Boxen verpackt wegstellen zu können.

Die von mir für diese Problemstellung entwickelten Bewältigungsstrategien haben es in sich. Dazu zählen:
Die Grundlage für eine vollständig entwickelte Suchterkrankung primär um Alkohol herum, aber auch von anderer Genussmitteln.
Die Verleugnung/Ignorierung von Tatsachen oder die falsche Gewichtung / cherry picking von Beobachtungen, die in mein gewünschtes Weltbild passten. Dies führte in einigen Fällen zu einer kognitiven Dissonanz in Folge meiner ausgeblendeten Selbstreflexion.
Die Vermeidung von sozialer Interaktion und der Abbruch von unsicheren sozialen Verhältnissen, wenn diese mich aufgrund ihrer instabilen Natur belasteten oder ich das Vertrauen in dem Gegenüber verlor; meistens impulsiv und unverständlich für die andere Seite.

Das erste Mal wirklich wahrgenommen habe ich die Unsicherheit vor Zurückweisungen bzw. der Ablehnung, bei meinen ersten Erfahrungen im romantischen Bereich im Teenageralter. Diese machte ich damals online über ein Videospiel und selbst dort zeichneten sich dieselben Strukturen und Muster ab, welche sich wenig später auch auf die reale Welt übertragen sollten.
So zeigte ich zum Beispiel auf ausbleibende oder verspätete Antworten auf Nachrichten meinerseits, ausgeprägte emotionale Reaktionen wie Angst, Unsicherheit und (physische) Schmerzen. Über diese entwickelte eine Hyperfixierung auf Gedankenschleifen, welche immer neue (hypothetische) Szenarien ausmalten, warum eine Antwort ausblieb.
Diese Schleifen waren nicht einfach zu durchbrechen und wenn nur kurzfristig über externe Ablenkung.
Es zeichnete sich im Allgemeinen ein Bild von Niedergeschlagenheit, welches je nach Latenz einer Antwort sich über Tage ziehen konnte.
Meine erste damals erlernte Bewältigungsstrategie (und welche eine ausgeprägte negative Hebelwirkung auf mein Leben hatte) war der Konsum von Alkohol in diesen Stresssituationen. Der Konsum löste – zumindest zu Beginn – meine Angespanntheit machte mich euphorisch und half mir, nicht akut an die Situation zu denken.
Das Problem beim Alkoholkonsum in dieser Hinsicht ist nämlich, das es zwei Phase gibt, die Euphoriephase und die Down-Phase, welche nach einer gewissen Zeit einsetzt. Wenn sich die Situation bis zum Eintreten der Down-Phase nicht geklärt hatte, konnte man sich auf einen intensiven Ritt der Emotionen einstellen, denn Alkohol ist ein emotional amplifier, der die negativen Emotionen in diesem Stadium stark multipliziert.
Das einzige, was (mir) dabei half die Kontrolle zu behalten: noch mehr trinken. So viel trinken, dass man sich am Ende völlig die Lichter ausknipste. Die Eskalation war also Teil des Designs dieser Bewältigungsstrategie und damit die Basis für langfristiges Unheil.

Im weiteren Verlauf meines Lebens gelang es mir nicht, vernünftig mit meinen Emotionen im Bereich der unsicheren Bindung und Zurückweisung umzugehen. Vor allem über den Hebel der Angleichung und meines äußeren Maskings wollte ich mir nicht die Blöße geben, dass ich mit solcher (meistens gefühlter, aber auch konkrete) Ablehnung nicht umgehen konnte – andere können das ja auch, gell?
Dabei übertrugen sich diese Emotionen ebenfalls auf allgemein berufliche und private Situationen, wie z.B. Mitarbeitergespräche oder Leistungsabfragen und Leistungserbringung sowie freundschaftlichen Gefallen oder Unternehmungen. Egal in welchem Umfang diese erfolgte, für mich war die „Leistung“ die ich erbrachte oder die Unterstützung, nie genug.
Sicherlich gab es auch Situationen, in denen sich meine subjektive Wahrnehmung mit der objektiven deckte und ich zu wenig Leistung erbrachte, das möchte ich gar nicht ausschließen. Für den Zustand meiner ängstlichen Erwartung war das allerdings irrelevant, denn dieser war stetig aktiv.
Diese innere Geisteshaltung führte bei mir zu einer Konfliktscheue und Ja-Sagerei, was den auf mir erzeugten Druck und die Zerrissenheit selbstverständlich noch erhöhte bzw. verstärkte.
Dabei entschuldigte ich mich häufig, fast sogar schon prophylaktisch und meistens unsinnig, wenn etwas, welchem ich zugestimmt hatte, nicht klappte, obwohl mir im Vorfeld klar war, dass dies schwierig werden würde und ich nur nicht Nein gesagt hatte, weil ich dem (gefühlten) Konflikt aus dem Weg gehen wollte.
Meine exorbitante Unsicherheit hab ich in dieser Form zielgerichtet gekapselt und versteckt. Dabei habe ich das gesellschaftliche Bild eines starken Mannes abgebildet und meine Handlungsweisen so gewählt, dass sie vermeintliche Stärke und Stabilität nach außen reflektierten, obwohl sich innerlich das Komplement dessen abzeichnete.

Mit diesem Ansätzen bin ich erstmal (äußerlich) gut gefahren, allerdings verfährt man sich selbstverständlich über die Jahre in immer stärkere Bereichen innerlichen Drucks, für welchen man ein Ventil benötigt. Zusammen mit dem Umstand, das ich Alkohol (und andere Genussmittel) auch als Angstlöser für soziale Interaktionen nutzte und indem dieser mir half, meine adaptierten umfangreichen Regeln für Unterhaltungen beiseitezulegen, manifestierte sich als logische Konsequenz über die Jahre meine Suchterkrankung.
Während der Isolation im COVID-19-Lockdown 2020/2021 und vor allem in der Phase, in der ich realisierte was ich in meiner Manie angerichtet hatte, brach diese gänzlich durch. Dabei brauchte ich eine zweistellige Anzahl an Krankenhausaufenthalten, verteilt über drei Jahre, sowohl für körperliche Alkoholentzüge, als auch für die Stabilisierung.
Diese Sucht in den Griff zu bekommen gelang mir erst 2023, als ich im Zuge meiner ADHS-Diagnose, in der Zweitlinientherapie, das oben genannte Medikament Guanfacin verschrieben bekam. Dieses half mir eine langfristig anhaltende innerliche Ruhe zu etablieren. Dabei gelang es mir ebenfalls, den Konsum von sämtlichen psychoaktiven Substanzen einzustellen (Koffein ausgenommen ich brauche meinen Kaffee!), was für mich einen großen Erfolg darstellt.
Auch wenn ich Guanfacin mittlerweile wieder abgesetzt habe (es reduzierte die Funktionalität meines grafischen Abstraktionsvermögens), blieb die abstinente Stabilität bestehen. Zu einer Lockerung oder Verbesserung meiner Zurückweisungsempfindlichkeit führt diese allerdings nicht. Im Gegenteil. Dadurch das die Elemente der Betäubung und Angstlösung nicht mehr verfügbar sind (besagte Genussmittel, von denen ich nun abstinent bin), kämpfe ich seit diesem Zeitraum mit einer starken sozialen Isolation und Rückgang meiner Sozialkompetenzen.
Im Zuge dessen konnte ich nur wenige neue Kontakte aufbauen und es gelang mir auch nicht, alle bestehenden zu stabilisieren. Gerade beim letzten Punkt habe ich sogar unsichere Kontaktverhältnisse abgebrochen, bei denen ich keine Aussicht auf Verbesserung in absehbarer Zeit sah, weil diese bei mir zu Instabilität führten.

Gerne würde ich hier die Weltformel für andere Betroffene veröffentlichen, welche Schritte man gehen und welche Knöpfe man drücken muss, um mit seiner Rejection Sensitivity besser umgehen zu können. Doch diese habe ich leider nicht.
Es ist auf jeden Fall sinnvoll und wichtig, ein engmaschiges Support-Netzwerk an Freunden und Familie zu haben. Dabei sollte man mit seiner Empfindlichkeit offen umgehen und diese nicht verstecken und damit den Eindruck erwecken, man sei unantastbar und stabil. Erfahrungsgemäß funktioniert so etwas nur über einen fixen Zeitraum und die eigenen Probleme verstärken sich in dieser Zeit.
Egal wie sehr man hofft, dass die Beschwerden verschwinden, sie werden sich nicht in Luft auflösen. Full Disclosure [7] ist hier besser als security through obscurity [8] . In dieser Hinsicht: gelobt sei Kerckhoffs.
Welchen Weg ich persönlich als am sinnvollsten erachte, ist die Behandlung der emotionalen Dysregulation über eine Medikation wie einem Alpha Antagonisten (Guanfacin/Clonidin) oder im Falle von ADHS, auch über Stimulanzien. Die Wirksamkeit beim Letzteren wird nicht immer berichtet, kann jedoch gut funktionieren, wie ich von unterschiedlichen Betroffenen gelesen habe – bei mir hat es z.B. gut geklappt.
Dadurch allerdings, das für mich Stimulanzien nicht als dauerhaftes Medikament infrage kommen - meine Vitalwerte hinsichtlich Blutdruck und Puls gehen absolut crazy – und Guanfacin leider die Art (meine visuelle Abstraktion) einschränkt, mit welcher ich meinen Beruf ausübe und über welche ich denke und handle, kann ich zur Zeit nicht auf den Medikamentenansatz bauen.
Der einzige stabile Weg den ich für mich gefunden und umsetzten konnte, ist eine ausgeprägte Unabhängigkeit und der (erstmalige) Abbruch von unsicheren Kontaktverhältnissen, um vor allem einen Rückfall im Suchtmittelbereich zu verhindern.
Mir ist klar, dass dies keine silver bullet für mein Problem ist (.. und ich möchte auch niemanden diesen Ansatz empfehlen), doch bis ich einen neuen Stabilitätsrahmen aufgebaut habe, sodass ich gefahrlos wieder mehr soziale Interaktion wagen kann, wird noch etwas Zeit ins Land gehen, das sagt mir mein Bauchgefühl und mein Pattern Matching.
Mit meiner gelebten Kontinuität werde ich aber auch das in den Griff bekommen. Da bin ich mir sicher. 🙂
Alles zu seiner Zeit.